Ja das gibt es, das politisch Richtige: Wer sich fragt, was genau „die Wahrheit“ im politischen Bereich ist, wird hier fündig.
Das Wagnis
An dieser Stelle müssen wir das Individuum und die Gesellschaft zugleich betrachten. Denn jede zwischenmenschliche Kommunikation ist ganz grundsätzlich ein Wagnis. Insofern als die Übermittlung von Informationen, sofern sie überhaupt gelingt, noch nichts über das Verständnis aussagt. Sie ist nur eine Voraussetzung. Egal ob im Gespräch, im gelesenen Text oder in irgend einem Medium. Wer nach der Lektüre von Kants “Kritik der reinen Vernunft” zehn Prozent verstanden hat, hat schon viel erreicht. Das gilt aber auch für die ganz “normale” Kommunikation. Denn wir übernehmen Informationen nicht, wie ein Glas das Mineralwasser. Sondern wir konstruieren an uns übermittelte Informationen in unserer “Welt”, unserem intrapsychischen System, neu. Das hat die Systemtheorie sehr gut dargestellt. Das geschieht allein schon deshalb, weil eine Information nicht für jeden Menschen die gleiche Bedeutung hat. Je nachdem ob ich reich, arm, dick, dünn, politisch links oder rechts, introvertiert oder extrovertiert, homo- oder heterosexuell bin – oder auch nur glaube, das ich es wäre. In der Kommunikation ist sogar noch wichtiger was man glaubt zu sein, als was man wirklich ist.
Der Glaube
Denn wenn wir etwas nicht verstehen, glauben wir intuitiv meist erst mal, dass es keine Bedeutung hat. Deshalb denken die meisten Menschen nicht, das ihnen etwas fehlt, wenn sie Kant nicht gelesen haben. Das Eingeständnis etwas von Bedeutung nicht zu verstehen, macht uns Mühe und fühlt sich nicht gut an. Es verringert das Gefühl von Macht im Sinne von Stabilität innerhalb unseres intrapsychischen Systems. In das wir ja dann erst durch Arbeit (erweitertes Verständnis) die Information wieder so integrieren können, dass wir die Kontrolle zurück gewinnen. Auch deshalb leben wir heute politisch alle in Blasen und lesen besonders gern die Medien, die uns die für unser intrapsychisches System angepasstesten, also nicht zu informativen Informationen, anbieten. Denn wir Menschen sind gerade deshalb an Informationen viel weniger interessiert als man meinen könnte. Vor allem in Zeiten des „information overload“. Ein hohes Mass an Ignoranz ist für uns Lebensnotwendig, um uns nicht zu überfordern.
Laut Bateson ist eine Information ein Unterschied, der einen Unterschied macht. Der sollte aber eben nicht zu groß sein. Eine Information hat nämlich etwas von einem Virus. Deshalb “impfen” (pre-bunking) Medien mit klarer Weltsicht ihre Leser auch immer wieder, welche Informationen, von welchen Medien sie abwehren, also gar nicht erst lesen sollen. Ein Spiegel oder Süddeutsche Leser wird zB. immer wieder in Beiträgen gewarnt sich auf z.B. Twitter oder gar in “alternativen” Medien frei zu informieren. Denn der Antagonist der Neugierde (Informationslust zur besseren Bestimmung der eigenen Interessen) ist die Systemstabilität. Und diese hat die höchste Priorität. Sonst droht der Systemabsturz. Denn die Systemintegration, also die Gewährleistung des inneren Zusammenhalts ist intrapsychisch wie auch gesellschaftlich von großer Wichtigkeit. Deshalb müssen sich Menschen und auch Gesellschaften auch vor Informationen schützen, wie vor Viren. Zumindest in dem Ausmaß in dem sie diese nicht verstehen, also nicht verarbeiten können. Darum werden auch in Kriegen die Gegner nie verstanden. Und jede Seite hält sich so selbst für den, dem der Krieg aufgezwungen wurde. (Versailles) An dieser Stelle wird uns klar, welche “Analogie quasi als Realität” die Corona-Epidemie und der damit verbundene Impfzwang darstellten. Beide Ebenen haben sich hier überschnitten. Sowohl die Virologische als auch die Informationelle. Es geht also nicht um Populisten vs. Demokraten, links vs. rechts, Demokratie vs. Diktatur. Sondern darum, dass jedes System, das an der Macht ist, diese stabilisieren will und muß (Konservativität). Konservativ ist also nicht, wer im politischen Feld aus Gewohnheit so genannt wird, sondern wer sich so verhält. Das können auch „Linke“ sein. Die Ostdeutschen wundert das natürlich nicht.
Die Wahrheit
Im Sinne der Systemtheorie handelt es sich hier um einen Kreislauf, der nie endet. Deshalb gewinnt immer auch der Antagonist, die “falsche” Information, also der Ausbruch aus der Norm der harmlosen Informationen, wieder Oberhand. Egal ob sie wirklich falsch ist oder nur unangenehm. Und zwar in dem Maße in dem das System nicht mehr ausreichend viabel (übersetzt: gangbar, geeignet) ist. Viabilität ist ein Begriff des radikalen Konstruktivismus, der, da die Übereinstimmung der Überzeugungen mit „der Wirklichkeit“ nicht möglich ist, auf einen Wahrheitsbegriff verzichtet. Und als Kriterium für die Überzeugungen statt dessen den Begriff Viabilität benutzt. Wahr ist also was funktioniert. Schließlich muß sich das System beständig an geänderte Umweltbedingungen (also das System-Aussen bzw. „die Realität“) anpassen. Und Geschichte wird vom Sieger geschrieben. Sonst blieben die Systeme nicht leistungsfähig. So wie der ehemalige Ostblock. Oder eben heute eventuell der in seiner Allmacht und seinen Gewissheiten bedrängte Westen, der nicht mehr mit der veränderten Realität in der Welt (BRICS?) zurecht kommt. ???
Es gibt also zwei Möglichkeiten zu reagieren.
1. Impfen, also Abwehr von herausfordernden oder natürlich auch propagandistischen Informationen – was auf Dauer unter Umständen zu einer geringeren Viabilität (Angepasstheit an die Realität) führt – oder
2. Verarbeitung (Verständnis) von Informationen, die dann aber neu in das System integriert werden müssen. Was aufwändig ist.
Der 2. Punkt darf aber die Systemstabilität nicht gefährden. Sonst entsteht Chaos. Und das ist evtl. noch schlimmer als Erstarrung. Solange einem politischen System beides in der richtigen Mischung ausreichend gelingt, bleibt es stabil. Demokratien haben es hier aufgrund ihrer „Durchlässigkeit“ (semipermeable Membran) bisher einfacher gehabt. Funktioniert die Systemgrenze (zB. Die Grenzen zu Europa) aber gar nicht mehr, ist Destabilisierung die natürliche Folge. Auch demokratische Systeme können, so scheint es, zu einer Fassade erstarren – so dass sich hinter all der zur Schau gestellten „Progressivität“ eigentlich nur noch der Wunsch nach konservativem Machterhalt (Systemstabilität) verbirgt. Wenn dann PR-Maßnahmen zum Klimaschutz dem Klima schaden, wie beim Atomausstieg, ist das möglicherweise schon der Fall.
Ganz aktuell:
Interessant ist in diesem Zusammenhang dieser Redebeitrag von Robert Habeck auf dem Europaforum des WDR. Hier macht er sich, sehr sympathisch, stark für Demokratie und Kompromiss auch angesichts der eigenen Fehlbarkeit. Das Fehlen von Verständnis ist seiner Meinung nach Ursache der aufgeheizten, polemischen Stimmung. Den Rechtspopulisten wirft er vor, existierende Probleme so weit zu zu spitzen, dass kein Kompromiss mehr möglich ist. Sie grenzten Menschen aus. Ihnen fehle die Fähigkeit demokratisch in Kompromissen zu denken.
Mit dieser Behauptung grenzt er selbst „diese Rechtspopulisten“ aus dem demokratischen Diskurs aus und empfiehlt, sich letztendlich nur mit Menschen auseinander zu setzen, die höchstens in Details vom eigenen Kurs abweichen. Er entwickelt das Narrativ Opfer von Ausgrenzung durch diese zu sein um so seine Täterschaft, nämlich auszugrenzen, zu verschleiern. Diese klare Kante gegenüber Rechtspopulisten sollte nicht verwundern. Er schließt damit die Reihen. Aber es bedeutet auch, dass mit „diesen Leuten“ nichts mehr anzufangen ist. Und sie deshalb nicht mehr zu seinem „Wir“ gehören. Ein erstaunlich unredlicher argumentativer Haken, den er da schlägt. Gott sei dank kommt er zum Schluss noch, völlig zurecht, auf die Viabilität zu sprechen. Dass am Ende nämlich nur zählt, was ihnen gelingt, was also wirklich funktioniert hat. Und da hat er sicher recht.
#Habeck über Rechtspopulismus und die Dämonisierung der Debatten.#Habeck4Kanzler 🇩🇪 pic.twitter.com/26aFaJnuZH
— Peter Colymore 🇺🇦 (@IsarJesus) June 16, 2024