Was ist Kreativität?
Kreative Menschen wurden von der Renaissance bis zur Mitte des 20. Jh. gerne als geniale, irgendwie von einer anderen Dimension inspirierte, göttliche Genies beschrieben und kultisch verehrt. Heute sehen wir das etwas sachlicher. Der nüchterne Blick wurde vor allem durch Joy Paul Guilford, einen amerikanischen Psychologen und Intelligenzforscher, geprägt. Er befasste sich hauptsächlich mit der Verbesserung von Intelligenztests, „abweichendem Denken“ und Kreativität.
Joy Paul Guilford betrachtete Kreativität vor allem als Konzept zur Ermittlung exzeptioneller Lösungsverfahren für Probleme. Guilfords Betrachtungsweise sollte die bis dahin verbreitete Genie-Ästhetik ablösen. Er stellte sogar Kreativität durch spezielle Charakteristika dar und machte sie erstmalig angeblich messbar.
Er spricht von „Divergent thinking“. Das ausschweifende Denken. Für Guilford gilt divergentes Denken als eines der wichtigsten Kriterien für Kreativität. Ganz im Gegensatz zum „konvergenten Denken“, welches zielgerichtet nur auf genau die eine Lösung logisch zusteuert.
Kreative setzen also die Fragestellungen zugrunde liegenden Konzepte in eine weitere Perspektive. Sie zielen nicht stur und überfokussiert auf einen Punkt hin, der die vermeintliche Lösung darstellt, sondern sind in der Lage, auch die Faktoren des der Fragestellung zugrunde liegenden Konzeptes zu verändern und verchiedene Perspektiven einzunehmen. Es ist ein eher räumliches Denken und Vorstellen, das sich auch der Relativität und Begrenztheit menschlichen Denkens bewusst ist.
Kreatives Verhalten eines Menschen wird nach Guilford durch folgende grundlegende psychische Merkmale erfasst und setzt diese als wesentliche Eigenschaften kreativer Menschen voraus:
1. Problemsensitivität (erkennen, dass und wo ein Problem besteht)
2. Flüssigkeit (in kurzer Zeit viele Ideen hervorbringen)
3. Flexibilität (gewohnte Wege des Denkens verlassen, neue Sichtweisen entwickeln)
4. Re-Definition (bekannte Objekte neu verwenden, improvisieren)
5. Elaboration (Anpassen der Ideen an die Realität, Details hinzufügen)
6. Originalität (ungewöhnliche, neuartige Ideen erschaffen)
Die neuere Forschung
Laut ROGER E. BEATY, YOED N. KENETT ist Kreativität ein ganz spezielles Wechselspiel aus zwei Hirnnetzwerken. Auf der einen Seite das Default Mode Network (DMN), das immer dann beginnt aktiv zu werden, wenn wir gerade nichts zielgerichtet tun. Deshalb „Default Mode“. Und auf der anderen Seite Hirnareale der exekutiven Kontrolle und Bewertung, die nur dann funktionieren wenn wir uns gerade konzentrieren, also besonders fokussiert sind. Beides widerspricht sich eigentlich. Aber ein besonderes Zusammenspiel aus Konzentration und „Loslassen“ führt hier zu kreativen Lösungen. Wenn wir also Probleme besonders intensiv und konzentriert erfasst haben, können uns gerade in Zuständen der Inaktivität oder sogar des Schlafes neue Ideen kommen. Denn unser Hirn arbeitet unterschwellig weiter.
Außerdem hat Kreativität auch etwas mit Assoziationen zu benachbarten Konzepten zu tun. Wenn wir also zB. zum Konzept eines Problems Lösungen suchen, assoziieren wir erst einmal ganz träge in einem Netz von Konzepten alles was dem Konzept nahe liegt. Besondere Kreativität wird dann sichtbar, wenn uns auch dem Konzept weit entfernte Lösungen einfallen oder wir das Netz der Konzepte sogar ganz neu formatieren können.
Die kreative Person
Besonders kreative Ideen können sicherlich mit speziellen Brainstorming-Techniken befördert werden. Kreativität ist aber in erster Linie das Ergebnis einer ganz speziellen Persönlichkeitsstruktur. Dazu wurden von M. Csikszentmihalyi, Professor für Psychologie an der University of Chicago, im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit kreative Menschen befragt.
Aus diesen Interviews zieht Csikszentmihalyi die Erkenntnis, dass diese Menschen gegensätzliche Persönlichkeitsmerkmale in sich vereinen und dadurch breitere Denk- und Handlungsmöglichkeiten haben. Kreativität als seltene psychische Konstellation also. Der Kreative ist nicht diszipliniert oder lebenslustig, emotional oder eher rational, ordentlich oder chaotisch, intelligent oder naiv, sondern immer beides zugleich.
Csikszentmihalyi schreibt: „Kreative Personen vereinen offenbar gegensätzliche Tendenzen auf dem Spektrum zwischen Extraversion und Introversion. Die meisten Menschen sind entweder das eine oder das andere, stehen entweder am liebsten im Mittelpunkt oder ziehen es vor, das Geschehen als Zaungast zu verfolgen. Tatsächlich gelten in der modernen psychologischen Forschung Extraversion und Introversion als die stabilsten individuellen Unterscheidungsmerkmale, die zuverlässig gemessen werden können. Im Gegensatz dazu bringen kreative Menschen offenbar beide Eigenschaften gleichzeitig zum Ausdruck.“
Hier spricht er darüber: